Wie schwer ist der Job eines Übersetzers?

November 23, 2022

Die Frage müsste man eigentlich anders stellen, und zwar: “Wie schwer ist der Job eines Übersetzers heute?” Die Tätigkeiten eines Übersetzers haben sich nämlich im Informationszeitalter fundamental geändert.

Wie in vielen anderen Branchen auch, hielten der PC und das Internet nicht über Nacht Einzug ins Arbeitsleben, sondern Schritt für Schritt. Wenn man sich heute vergegenwärtigt, was man als Übersetzer eigentlich tut, kann man sich vor Unglauben nur die Augen reiben.

In diesem Artikel erkunden wir, was freiberufliche Übersetzer eigentlich tun, wie sich ihre Tätigkeiten im Laufe der Zeit geändert haben und was die Zukunft bringt.

Ausbildung und Aufgaben von Übersetzern

Man kann Übersetzen an Fachhochschulen und Universitäten studieren oder sich an privaten Instituten zum staatlich geprüften Übersetzer ausbilden lassen. Genaueres kann man beim BDÜ (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer) erfahren.

Abgesehen von den offiziellen Ausbildungswegen gibt es weiterhin sehr viele Quereinsteiger, d. h. Übersetzer, die sich gut in einem Sachgebiet, z. B. klinischen Studien, auskennen und dieses Fachwissen in den Beruf einbringen.

Wichtig ist, dass Übersetzer – mit Ausnahme der Bezeichnung “Vereidigter Übersetzer” – keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Es darf sich also fast jeder Übersetzer nennen, der sich dazu berufen fühlt.

Übersetzer arbeiten in den wenigsten Fällen fest angestellt, z. B. in Großunternehmen oder bei der EU. Die meisten Übersetzer arbeiten als Freiberufler, und um die Freiberufler geht es vorrangig in diesem Artikel.

Früher war alles besser

War es das wirklich?

Vor der massenweisen Verbreitung des PCs wurde noch mit Hilfe der Schreibmaschine übersetzt. Das Gleiche galt für die Dokumentenerstellung auf der Auftraggeberseite, z. B. in der Abteilung für Technische Redaktion.

Wie zählte man die Wörter in solchen Dokumenten, um ein Angebot zu erstellen? Einer meiner früheren Chefs hat es mir verraten: “Irgendwann, es waren die 70er Jahre, hatten wir keine Lust mehr, die Wörter per Hand zu zählen. Wir haben die ausgedruckten Dokumente dann einfach auf die Waage gelegt und die Wörter anhand von Erfahrungswerten geschätzt.” Clever.

Quelle: Erstellt durch Künstliche Intelligenz auf Midjourney

Dann kamen die PCs und Anfang der 90er dann auch das erste Translation Memory. Nach den PCs kam Ende der 90er Jahre dann das Internet bzw. erst einmal E-Mails. Man musste zumindest zum Liefern der Aufträge keine Disketten mehr per Kurier verschicken. Das World Wide Web war allerdings im Vergleich zu heute noch so gut wie leer.

Übersetzungsagenturen waren damals noch voller Wörterbücher und Referenzliteratur. Es wurde noch telefoniert. Die Leute gingen ins Büro. Es war vielleicht etwas gemütlicher.

Das Internet, so wie wir es heute kennen, lässt die Vergangenheit wie ein Märchen erscheinen.

Digitalisierung

PC und Internet, also das, was man heute unter dem Begriff “Digitalisierung” zusammenfasst, haben die Tätigkeiten von Übersetzern maßgeblich verändert.

Es gibt die Legende vom Frosch, der in einem Behälter mit Wasser sitzt. Erhitzt man das Wasser langsam bis zum Siedepunkt, verkocht er. Erhitzt man das Wasser rasch, springt er aus dem Behälter und rettet er sich.

Ähnlich kann man die Entwicklung seit den 80er Jahren deuten, wobei der technische Wandel die Wassertemperatur ist. Einige Übersetzer machen so weiter wie bisher, andere passen sich den Zeitläuften an.

Werfen wir nun einen Blick darauf, was Übersetzer tun und was heute anders ist als früher.

 

Schreiben

Hier geht es um die Textproduktion. Früher mit Schreibmaschine oder Computer, in jedem Fall manuell durch Eintippen der Buchstaben.

Heute gibt es Spracherkennungsprogramme (speech to text), die die gesprochene Übersetzung automatisch in Text umwandeln.

Die maschinelle Übersetzung (“Machine Translation”) wiederum gibt die Übersetzung vor, der Übersetzer passt sie dann nunmehr an und agiert somit als Lektor.

Oder das CAT-Tool erkennt, welches Wort man eintippen will und macht Vorschläge für die Vervollständigung der Eingabe.

Bye-bye Tastatur?

 

Recherchieren

Was früher die Bibliothek war, ist heute Google bzw. das Internet. Dauerte es früher Stunden, bevor man einer Benennung in der Zielsprache auf die Spur kam, kann man dies heute in Sekunden oder Minuten erledigen.

Das Überangebot an Informationen im Internet ist allerdings Fluch und Segen zugleich: Man muss in der Lage sein, rasch das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.

Fundierte Kenntnisse in einem Sachbereich sind deshalb nach wie vor ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für Übersetzer.

 

Dateien übertragen

Ich selbst habe noch die Diskettenzeit bis Ende der 90er erlebt. Danach kam E-Mail und danach FTP (File Transfer Protocol). Heute werden Dateien häufig über Portale übertragen, z. B. XTRF und Plunet, wo die gelieferten Dateien direkt in einen Workflow eingespeist werden.

Die Betreiber dieser Portale, in den meisten Fällen Übersetzungsagenturen, profitieren davon, weil ein Portal die Automatisierung von Workflows erlaubt. Dateien werden sicher übertragen und durch die Abbildung einzelner Prozessschritte im Workflow werden Übersetzungsprojekte personenunabhängiger. Das Prozessrisiko sinkt.

 

Qualität prüfen

Wenn man als Nicht-Übersetzer an die Qualitätskontrolle denkt, hat man evtl. die manuelle Prüfung, also ein einfaches Durchlesen vor Augen. Die Realität sieht heute aber anders aus: Absolut unverzichtbar sind die über die Taste F7 aufrufbare Rechtschreib- und Grammatikkontrolle in MS Word, die QA-Module in den Übersetzungstools und schließlich externe QA-Tools wie z. B. Xbench oder Verifika.

Tippfehler und Zahlendreher kommen vor. Es gibt aber heute keine Entschuldigung mehr dafür, wenn es Tools gibt, die diese Fehler automatisch erkennen.

 

Kunden akquirieren

Wenn man sein eigenes Kaufverhalten analysiert, stellt man fest, dass man in vielen Fällen zunächst im Internet sucht und recherchiert. Zumal bei größeren Anschaffungen. Die Suche erfolgt zunächst planlos und wird dann gezielter. Die potenziellen Kunden von Übersetzern gehen genauso vor.

Übersetzer sollten demnach darüber nachdenken, eine Onlinepräsenz aufzubauen, damit sie von Kunden gefunden werden können. Allerdings: Weil Tausende von Übersetzerprofilen online verfügbar sind steigt der Differenzierungsdruck, und das regelmäßige Posten auf LinkedIn, Twitter usw. kann viel Zeit verschlingen.

Das Stichwort hier ist “Social Proof”, was sich darauf bezieht, dass Menschen eher etwas kaufen, wenn jemand anders sich positiv darüber äußert und gewissermaßen den Beweis dafür liefert, dass dem Dienstleister zu vertrauen ist.

 

Abrechnen

Viele Übersetzer sind noch mit Excel und PDFs unterwegs. Alternativen dazu sind Online-Buchhaltungsprogramme, in denen Rechnungen erstellt werden und Kunden an die Zahlung der Rechnung erinnert werden können.

Manche Kunden berichten davon, wie spät einige Übersetzer ihre Rechnungen schicken, bzw. einige schicken sie gar nicht. Das wirkt sich auf die Reputation des Übersetzers und logischerweise auf die Liquidität aus.

 

Weiterbildung

Wie oben erwähnt, sind Fachkenntnisse ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Häufig sind dazu keine großen Investitionen nötig, abgesehen von der Zeit, die man investieren muss. Auf Coursera, Udacity, edX sowie beim BDÜ gibt es ein vielfältiges Angebot, z. B. diesen Kurs über Diabetes auf Coursera.

Der Kreis schließt sich über Social Media, wo man das erlernte Wissen auf seinem Profil hinterlegen und somit für Kunden sichtbar machen kann.

 

Was bringt die Zukunft?

Man kann davon ausgehen, dass die Qualität der maschinellen Übersetzung besser wird. Zudem werden neue Sprachkombinationen hinzukommen. Übersetzer werden also in Zukunft weniger aktiv übersetzen, sondern sich wahrscheinlich eher in Richtung Qualitätskontrolle entwickeln.

Andere Berufszweige sind bereits so hoch entwickelt, dass manuelle Abläufe gar nicht mehr vorstellbar sind, z. B. in der Landwirtschaft und Fertigung, die bereits einen hohen Automatisierungsgrad erreicht haben.

Zudem sprechen die Investitionen in Künstliche Intelligenz eine deutliche Sprache: Die Investitionen in KI sind zwischen 2013 und 2021 um das 35-Fache gestiegen.

Quelle: Our World in Data

Investoren wollen natürlich Rendite und deshalb kann man davon ausgehen, dass die Resultate dieser Investitionsprojekte in Geschäftsmodelle einfließen und diese revolutionieren werden, darunter auch Geschäftsmodelle in der Übersetzungsbranche.

Bemerkungen

Schreibe einen Kommentar

¡VERGLEICH!